Zu Besuch auf einem NEULAND-Betrieb der ersten Stunde
Ganz konzentriert reichen die kleinen Kinder den Schweinen immer wieder herausgefallene Strohhalme durch die Gatter an den Ausläufen in der Sonne. Die halbwüchsigen Schweine danken es mit grunzendem und mümmelndem Interesse, was die Kinder auf ihrer Augenhöhe umso mehr motiviert. „Ach, der Kindergarten ist auch wieder da“, sagt Landwirt Ulrich Dingebauer, als er die Kinder beim Hofrundgang entdeckt. „Seit unsere Tochter damals dahin gegangen ist, kommen sie regelmäßig, jetzt sammeln sie bestimmt wieder Äpfel im Hähnchenauslauf und backen Apfelkuchen, manchmal kriegen wir auch ein Stück ab“, Dingebauer grinst verschmitzt. Er wirkt so, als habe er immer gerne Leute auf dem Hof, auch wenn sie spontan kommen. Ein bisschen gehört das zum Geschäftsmodell. „Das Kapital des Betriebs ist seine Lage“, er kann auch ernst, „hier an einer Durchfahrtstraße im Ruhrgebiet.“ Der Hof Dingebauer liegt mitten im Pott zwischen Castrop und Dortmund zwischen allen Klischees gleich hinter städtischen Wohnsiedlungen, Schrebergärten und der Industrieruine des stillgelegten Kohlekraftwerks Gustav Knepper mit seinem riesigen Kühlturm. Und doch ist dort, wo sogar die Bushaltestelle Dingebauer heißt, plötzlich ganz plattes Land. Obwohl es nicht platt ist, schließlich kommt der Name vom Thingplatz, der urahnigen Versammlungsstätte auf einer Anhöhe in der Nähe.
Aller Anfang
Seit dem 13. Jahrhundert gibt es hier einen Bauernhof, das Haus ist von 1833. Direktvermarktung ist hier alt: „Die Kumpel brauchten Stroh und Futter für ihre paar Viecher, Kartoffeln wurden ihnen gebracht, Gemüse von meinen Großeltern auf dem Markt verkauft, meine Oma hat auch mal nur sechs Eier in den vierten Stock ausgeliefert.“ 1983 übernahm Landwirt Ulrich Dingebauer den 15-Hektar-Hof, der nach dem Tod seines Vaters zehn Jahre verpachtet war. Er machte einen kleinen Laden auf, in dem seine Mutter verkaufte. Dingebauer schaffte die Sauen ab und baute die Ställe für Mastschweine in viel Eigenarbeit um. „Dänische Aufstallung mit Stroh, weil ich das wollte, dafür wurde man damals ausgelacht.“ Sowieso sei doch der Betrieb viel zu klein, nicht existenzfähig, hieß es von der Beratung. Dingebauer hatte neben der landwirtschaftlichen Lehre auch eine als Schlosser gemacht und führte den Hof zunächst im Nebenerwerb, bis schließlich seine Frau Ulrike kam und ein paar Hektar und die Lust auf den Laden mitbrachte. Heute gehören 52 ha Acker, 8 ha Grünland, 180 Mastschweine, 250 Martins- bzw. Weihnachtsgänse und 1.700 Hähnchen zum Hof.
Idee fasziniert
Als 1988 NEULAND entstand, waren die Dingebauers sofort dabei, lange Jahre fand die Zerlegung für die westfälischen NEULAND-Betriebe in den entsprechend ausgebauten Räumlichkeiten auf dem Hof statt. „Mich hat die Idee von NEULAND fasziniert“, sagt Dingebauer. Die Direktvermarktung ihrer handwerklich geschlachteten Schweine über den Laden lief auch schon vorher, mit NEULAND kamen für die Schweine Ausläufe und für die Kunden ein verlässliches Markenzeichen hinzu. Die Nachfrage im Laden ist gerade in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, „Unser Problem sind inzwischen die Wartezeiten, die die Kunden in Kauf nehmen müssen.“ Der Laden ist sehr klein, Ulrike Dingebauer kann nur alleine darin verkaufen, da bilden sich oft genug Schlangen auf dem Hof. Auch inzwischen häufiger fragten dann Kunden, ob sie mal einen Termin machen dürften, um sich umzusehen, so Dingebauer. Jetzt grinst er wieder verschmitzt: „Ich sage ihnen dann einfach, sie sollen doch rumlaufen und sich alles angucken, ohne Termin. Hier wird seit hundert Jahren Dienstag und Freitag gemistet und so sieht es dann eben aus.“ Wichtig sei, dass man ehrlich ist, sagt Dingebauer, er habe auch schon mal Kunden wegschicken müssen, weil er zu wenig Schweine für den Laden hatte. Ein Teil geht schließlich noch zu einem NEULAND-Metzger in Gelsenkirchen, wie auch ein Teil der Hähnchen, die auch noch zu einem Hof mit Laden im Sauerland geliefert werden. Wenn etwas über ist, vermarktet es der inzwischen seit Ende der 90er Jahre in Bergkamen sitzende NEULAND-Zerlegebetrieb.
Wie weiter?
Für die Dingebauers steht die Frage im Raum, wie es hier mal weiter geht. Tochter Uta ist 23, sie hat eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht und studiert nun Agrarwirtschaft in Göttingen. Also alles in Butter mit der Hofnachfolge? „Ich hab ihr immer gesagt, sie soll was machen, was ihr Spaß macht, nicht den Hof mir zuliebe oder aus Tradition übernehmen.“ Momentan ist sie gerade in Kanada, fährt Caterpillar auf Betrieben, die um ein Vielfaches größer sind als der Kotten bei Castrop. Nach dem Abitur war sie schon in Australien, hat dort auf Höfen gejobbt. Es klingt nach unabhängigen Köpfen, wenn der Vater erzählt, dass es erst mal nicht so ganz einfach war, als die Tochter nach ihrer Lehre zu Hause mitgearbeitet hat. „Wenn sie das hier mal machen will, dann geht das nur, wenn man einen Strich zieht, nicht wenn die Alten noch was zu sagen haben“, konstatiert Dingebauer und dass sie eben jetzt keine größeren Investionen planen, solange Uta nicht entschieden hat.
Vertrauen
„Wenn ich als Schlosser gearbeitet hätte, ginge es mir heute nicht so gut“, resümiert Dingebauer, der die Statur eines Bären hat, wegen Rücken oder Hüfte oder beidem nicht wirklich gut zu Fuß ist und seine letzte Chemotherapiesitzung gerade ein Jahr hinter sich hat. „Die war übrigens am Morgen, nachdem die Scheune abgebrannt ist.“ Im letzten August steckten zwei junge Männer das ziemlich neue Gebäude auf der anderen Straßenseite voller kurz vorher gedroschenem Saatgetreide, Stroh, mit mehreren Maschinen und Anhängern an. „Aber dann war der Hof voller Leute, die geholfen haben, Jagdkumpel, die sich frei genommen haben, das hat mich gerührt.“ Während Dingebauer auf dem Sofa den Krebs niederrang, übernahm seine Tochter kurzfristig draußen die Verantwortung. „Uta hat alles gemanagt“, sagt er nicht ohne Stolz, „das war eine Erfahrung, die Vertrauen aufgebaut hat.“ Wahrscheinlich nicht nur bei ihm.